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  • AutorenbildBarbara Grabher

Klara Tatzreiter: Zur Generierung von Räumen in anthropozäner Eventorganisation.

Aktualisiert: 2. Aug. 2022

Am Beispiel der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl - Salzkammergut


Vor dem Hintergrund einer kulturanthropologischen Darlegung konzentriere ich mich in diesem Beitrag auf Dynamiken des Begriffes „Raum“. Besonderes Augenmerk kommt dabei seiner Bedeutung für die Konstruktion von Raumwirklichkeit im Spannungsfeld zwischen vorgestelltem/gedachtem Raum und inszenierter Tatsächlichkeit des Raumes dar.


Wenn man von einem Ort spricht, evoziert dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein gedankliches Bild eines Raumes. Man malt sich aus, wo sich dieser geografisch verortet und welche Eigenschaften das „Abbild“ aufweist. Für die handlungsorientierte und empirische Kulturanthropologie ist der Begriff des Raumes zu einem essenziellen Werkzeug für wissenschaftliche Analysen geworden. Der Raumbegriff hat das Potenzial, „Dynamiken wissenschaftlich [fassen] zu können […] und [sie] als Prozess des Vollziehens und Sich-Konstituierens beschreiben zu können“[1].


Im Kontext der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 ist das trialektische Raummodell von Johanna Rolshoven zu betrachten[1].


Es verbindet verschiedene Ebenen von Raumverständnissen, priorisiert drei Raumaspekte, die als gleichwertig zu verstehen sind, und sich fortwährend in dynamischer Weise in Beziehung setzen. Der sogenannte „gebaute Raum“[2] wird als Bildfläche des sozialen Raumes aufgefasst und meint somit den messbaren, architektonischen Raum. Im Fall von Bad Ischl beinhaltet dieser beispielsweise das ehemalige Kurhaus, die Kaiservilla oder das Mamorschlössl, aber auch die Straßen, Gassen und Plätze. Der „Repräsentationsraum“[3] zeichnet sich über gesellschaftliche und historische Zuschreibungen aus. Bad Ischl könnte hier vor allem mit Narrativen über das Salz, als Kurort und ehemalige „Kaiserstadt“ gedacht werden. Der „gelebte/erlebte Raum“[4] wird von den Menschen wahrgenommen und in Alltagshandlungen realisiert, er ist die unmittelbare Um-Welt, ein Schauplatz der Aneignung von Raum. Durch dieses Modell ist es möglich, Bad Ischl - Salzkammergut als Raum zu betrachten, der sich in drei verschiedene Ebenen gliedert, die ineinandergreifen und sich in einer dynamischen Wechselwirkung beeinflussen. Bad Ischl als Kulturhauptstadt 2024, und folglich auch die gesamte Region des Salzkammerguts sind in ihrer Dimension, ein auf Menschen bezogener, von Menschen her gedachter und erschlossener Raum.[5]


Bad Ischl als Kulturhauptstadt kann in einem interdependenten, dynamischen Kontext gesehen werden: sie wird durch Vorstellungen erzeugt, erzeugt aber auch Vorstellungen und Erwartungen in den Köpfen ihrer zukünftigen Besucher:innen. Im Spannungsfeld zwischen Vorstellung und Wirklichkeit des Raumes zeigt sich auch ein liminaler Vorgang: Die Vorstellungen/Imaginationen starteten mit der Ankündigung von Bad Ischl – Salzkammergut (Startpunkt A) in der Öffentlichkeit und werden erst abgeschlossen sein, wenn Bad Ischl im Kontext der Europäischen Kulturhauptstadt zur erfahrbaren Realität (Endpunkt C) wird. Am Anfang (A) und am Ende (C) steht unweigerlich die Bezugnahme auf einen bestimmten Zweck, wobei der Weg (B), das Dazwischen, die organisatorischen Vorbereitungen am wenigsten vorkonstruiert sind, daher am Variabelsten in der Ausformung.[6]


Im eben genannten Dazwischen, im Organisationsprozess wird das konstruiert, was später von Seiten der Tourist:innen als „Da-Raum“, als Raumwirklichkeit wahrgenommen wird. In diesem Kontext ist eine Aussage von Christina Jaritsch aus dem Programmteam spannend: „Über die Kulturhauptstadt hat man jetzt die Chance auf die Frage zu antworten: Wie wollen wir den Tourismus in Zukunft gestalten?“[7]. Hier versinnbildlicht sich der Gedanke, dass die Zuschreibungen aktuell im Organisationsprozess der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 generiert werden. Diese werden den Tourismus im Raum des Salzkammergut bestimmen. In diesem Zusammenhang ist zudem die Betrachtung der Zeit und des Raumes als Tourismusgut wichtig. Ein Tourismusraum ist nach dem Soziologen Karlheinz Wöhler ein entzeitlichter Raum.


„Diese Entzeitlichung touristifizierter Räume geht demnach mit einer von dem Tourismus geschaffenen Zeitstruktur einher, wonach die Zeit als eine Aneignung von (attraktiven) Raumangeboten erscheint, zu denen sich der Tourist in Beziehung setzt. […] Tourismusgüter – verstanden als ein Recht auf Raumnutzung für eine bestimmte Dauer – stellen demzufolge Vertrauens- oder Glaubensgüter dar.“[8]

Das bedeutet für die Planung von Bad Ischl - Salzkammergut 2024, dass sich auch die Frage danach stellt, welche Vertrauens- und Glaubensgüter in Bezug auf den Raum „Bad Ischl - Salzkammergut 2024“ verhandelt werden (müssen). Es geht mitunter darum, welche Versprechungen durch die Bewerbung der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 von Seiten der Organisation gegenüber den künftigen Besucher:innen gemacht werden und andererseits auch, welche Vorstellungen des Raumes Bad Ischl – Salzkammergut dadurch in den Köpfen der Adressat:innen generiert werden. „Erst wenn der Raum genutzt wird, wenn der Tourist [Besucher:in des Raumes] also seine Erfahrungen macht, kann überprüft werden, ob die fremden Versprechungen und eigenen Vorstellungen zutreffen.“[9]; die Räume, die im Zuge der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl in der Region des Salzkammerguts verhandelt und generiert werden,„[…] sind daher `Leergüter`. Mit Gewissheit sind bestimmte Rahmen oder Hülsen wie physikalische und nationale Eigenarten wie Sprache `da` (=kontextuell gegebener Raum). Wie sich aber der Raum zu einem bestimmten Zeitpunkt präsentiert, kann nicht bzw. nicht mit Sicherheit gesagt werden.“[10].


Der Raum Bad Ischl - Salzkammergut wird durch eine Vielzahl an organisatorischen Handlungsabläufen ausgehandelt. Nachhaltigkeit, Natur und „kultivierte Wildnis“[11] sind nur einige der Konnotationen, auf die sich das Programm- und Organisationsteam stützt. Es wird versucht, eine Parallele zur „normalen“, alltäglichen Welt der Adressat:innen zu generieren. Die Adressat:innen sind neben der regionalen, ländlichen Bevölkerung auch Menschen aus urbanen Räumen. Für jene scheinen Angebote und Vorstellungen, besonders von Natur und Wildnis, einen Unterschied zu ihrer Lebensrealität zu machen.


„Diese Unterschiedszuschreibungen sind rückgekoppelt auf die Sozialwelt und sie werden daher auch von ihr kontrolliert. Dies bedeutet, dass die der Möglichkeit nach existente erzeugte Tourismusraum-Welt soziokulturell verankert und infolgedessen prinzipiell veränderbar ist. Gerade deshalb ist der Raum `leer`; die Besetzung von Raumstellen (Orten) kann so oder anders erfolgen – heute umweltverträglicher und morgen Wellness-Ort. […] Räume und damit auch Tourismusräume werden nicht gefunden, sie werden vielmehr erfunden.“[12]

Was die Akteur:innen den Adressat:innen als Wirklichkeit von Raum präsentieren, ist in einem gewissen Ausmaß durch den Raum selbst determiniert. Die (zukünftigen) Besucher:innen; sprich der Tourismus, welcher sich in Bezug auf „Salzkammergut 2024“ generieren wird, bestimmt die Raumwirklichkeit, denn die Vorgaben konstituieren diese Wirklichkeit, es geschieht nicht erst „danach“. Bad Ischl 2024 lebt, vor allem von der „inszenierten Imagination“[13] im Spannungsfeld von „Nicht-Lokalität“[14] (=Vorstellung) und „Lokalisierung“[15] (=Inszenierung).



[1] Johanna Rolshoven: Zwischen den Dingen: der Raum. Das dynamische Raumverständnis der empirischen Kulturwissenschaft. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde Band 108, 2012. Heft 2. 156-169. S. 156. [2] Ebd. S. 165. [3] Ebd. S. 164. [4] Ebd. S. 164. [5] Vgl. Ebd. S. 164-165. [6] Katharina Steffen: Übergangsrituale einer auto-mobilen Gesellschaft. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main, 1990. S. 36-39. [7] Notizen Klara Tatzreiter: Gespräch mit Christina Jaritsch vom Programmteam der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl am 5. Mai 2022 [8] Karlheinz Wöhler: Touristifizierung von Räumen. Kulturwissenschaftliche und soziologische Studien zur Konstruktion von Räumen. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwisenschaften. 2011. S. 63. [9] Ebd. S. 63. [10] Ebd. S.63-64. [11] Notizen Klara Tatzreiter: Gespräch mit Christina Jeritsch vom Programmteam der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad Ischl am 5. Mai 2022 [12] Wöhler, Touristifizierung von Räumen, S. 89. [13] Ebd. S. 89. [14] Ebd. S.89. [15] Ebd. S. 89.



Klara Tatzreiter studiert Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie an der Universität Graz. Ihr Forschungsinteresse bezieht sich hierbei insbesondere auf die Konstruktion von Räumen in Bezug auf Eventorganisation.

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