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  • AutorenbildBarbara Grabher

Nathalie Pollauf: Kultivierte Wildnis – eine Spurensuche nach nichtmenschlichen Tieren

Aktualisiert: 2. Aug. 2022

In dem folgenden Beitrag geht es um nichtmenschliche Tiere und deren Präsenz bei dem Event Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024. Vor allem durch die, Seitens des Teams hinter Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024, stark betonte Fokussierung auf ökologische Nachhaltigkeit können nichtmenschliche Tiere nicht einfach von dem Programm ausgeklammert werden – oder etwa doch? Wie werden diese im Bid Book repräsentiert und thematisiert? Wird ihnen Raum gegeben, um sich in den einzelnen Projekten in den Mittelpunkt zu stellen? Gelten nicht-menschliche Tiere schlicht und einfach als zu kultivierende Wildnis?



©Nathalie Pollauf


Da das Event in der Zukunft liegt mussten andere Quellen für meine Nachforschung herhalten und so liegt mein Fokus auf dem Bid Book, mit dem sich das Team als Kulturhauptstadt 2014 gegen St. Pölten und Dornbirn + durchgesetzt hat.


Nichtmenschliche Tiere in Wissenschaftsdiskursen

Allen voran eine kurze Begriffserklärung zu nichtmenschlichen Tieren: Dieser Terminus stammt aus dem Feld der Human-Animal-Studies, ein interdisziplinäres Wissenschaftsfeld entstanden in den 1990er Jahren. Er wird als Synonym für jene Lebewesen verwendet, die so oft vereinfacht als „das Tier“ zusammengefasst werden. Hier stimme ich mit Jacques Derrida überein, der kritisiert, dass der „Tierbegriff im Singular“ die Vielfalt des tierischen Lebens verdeckt – ganz einfach deshalb, weil keine Spezies namens Tier existiert.[1] In der akademischen Auseinandersetzung geht es darum den Mensch-Tier-Dualismus aufzubrechen und die Beziehung zwischen Menschen und Tieren nicht nur wissenschaftlich zu betrachten, sondern auch kritisch zu hinterfragen. Die Begriffsverwendung des „menschlichen Tieres“ soll somit zu einem neuen Bewusstsein der Menschen führen und zur Erkenntnis, dass es sich auch bei ihnen um eine tierische Spezies handelt. Durch die neue Begriffsfindung sollen Menschen wieder auf den Boden der Tatsachen und damit auf Augenhöhe mit ihren Artverwandten gebracht werden.


Bid Book – eine Spurensuche nach nichtmenschlichen Tieren

Bei meiner Entdeckungstour durch das Bid Book auf der Suche nach nichtmenschlichen Tieren als Akteur*innen stoße ich zuallererst auf Begriffe, welche bloß die Silbe „tier“ in ihrer Mitte tragen. Somit sind sie nur Teil eines gänzlich dem menschlichen Tier zugeschriebenen und interpreTIERten Wortes. Was dazu führt, dass sich unzählige „präsenTIERen“, „kuraTIERen“, „resulTIERen“ und „diskuTIERen“, aber kaum Tiere im Sinne nichtmenschlicher Teilhabender finden lassen. Von 162 Treffern behandeln nur vier das nicht-menschliche Tier, was allem voran auffällt ist, dass trotz der Fokussierung auf die ökologische Nachhaltigkeit kaum Raum für nichtmenschliche Tiere gegeben wird. Das führt mich wiederum zu der Annahme, dass nichtmenschliche Tiere kaum in der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut mitgedacht werden.


Bei dem Projekt mit dem Titel H2OH – Nein! wird das erste Mal, das von Derrida so kritisierte „Tier“ im Singular erwähnt: „Da alles Leben vom WASSER – H2O – abhängt, und es keine Pflanze, kein Tier - gar kein Leben - ohne WASSER gäbe, haben wir den Titel im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels gewählt (OH NEIN!)“ Das Bid Book stellt H2OH NEIN als interdisziplinäre Projekt-Plattform dar die Beziehungen zwischen Natur und Kultur erforschen soll.[2]


Zwei Seiten danach, auf Seite 64, ist die Erwähnung der Tiere, letztlich eine Anspielung auf den Menschen selbst: „Die tragikomischen politischen und ökologischen Auswirkungen der verzweifelten Bemühungen des sich selbst als Homo sapiens bezeichnenden Tieres […]“ macht das Künstlerduo Böhler & Orendt zum Inhalt seiner Installation, die einen Teil des künstlerischen Programmschwerkpunktes von H2OH – NEIN! werden soll.[3] Hier findet sich ein Ansatz Anti-Anthropozentristischen Denkens: Der Mensch als sich selbst benennendes Tier und das kritische immer wiederkehrende Aushandeln und Neuverorten des menschlichen Tieres in einer vom menschlichen Tier höchstpersönlich geschaffenen Kunstinstallation. Ein Paradoxon oder die einzige Möglichkeit mit der eigenen Stellung im Ökosystem umzugehen und sich neu zu platzieren.


Die letzten zwei Erwähnungen nichtmenschlicher Akteur*innen auf Seite 65 des Bidbooks führt mich schon auf eine für mein Forschen interessantere Spur: Das Kunstprojekt Biotope-to-go der Finnisch/Deutschen Künstlerin Tea Mäkipää, im Alpengarten Bad Aussee. Dabei handelt es sich um „ein außen und innen bepflanztes Auto […], das Mäkipää in ein Biotop auf Rädern verwandelte und in dessen Innerem auch Tiere lebten.“ Ein Merkmal im Œuvre der Kunstschaffenden liegt darin Überlebensstrategien aufzuzeigen und „unseren verantwortungslosen Umgang mit der Natur“ künstlerisch darzustellen. Von der Website der Künstlerin zitiert das Bidbook wie folgt: „Die Arbeit zeigt in klarer und eindrucksvoller Weise, wie Menschen, ohne Rücksicht auf Tiere und Pflanzen, alles zu dominieren und kontrollieren versuchen, um ihren sicheren Platz in der städtischen Umwelt zu erhalten.“[4] Ein Ringen und Aushandeln der Arten sowohl miteinander als auch untereinander, die jedoch die Überlegenheit der menschlichen Tiere klar in Frage stellt.


Von salzigen Hunden und Süßwasserfischen

Insgesamt nutzt das Bidbook den Begriff Tier(e) nur vier Mal. Dabei eignet sich gerade Bad Ischl und die umliegende Region Salzkammergut meines Erachtens ganz besonders dafür von den menschlichen Tieren abzusehen und den nichtmenschlichen Tieren eine Bühne zu bieten. Bei der Suche nach spezifischen nichtmenschlichen Tierarten ließ sich jedoch vereinzelt Vertreter*innen derselben im Bewerbungsbuch ausmachen, so etwa die Fische. Unter dem Titel Acta Liquida wird die lokale „Fischkultur“ in den Fokus gerückt, in Form einer künstlerischen Auseinandersetzung und eines Diskussionsforums.[5] Es wird an einer „Lösung zur Rettung der Fische und unserer Seen“ gearbeitet und gleichsam die Geschichte der Region in Bezug auf den Fischfang erzählt und deren Erzeugnisse in Form von Fischspezialitäten verkostet. Der Versuch den menschlichen Tieren auf eine sehr anthropozentrische Art den Erhalt und Schutz der Arten im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft zu machen.


Obwohl viele nichtmenschliche Tiere ausgelassen werden, darf natürlich eine Spezies nicht fehlen: Der Hund. So wird unter dem Begriff der „Salzigen Hunde“ sogar ein Hund zur Akteur auf Augenhöhe mit dem Projektteam: „Eira ist ein Therapiehund, Teil des Bidbook-Teams und Mitarbeiter im Kunststudio der Lebenshilfe für Menschen mit Beeinträchtigungen.“[6] Ein Hoffnungsschimmer am antianthropozentrischen Firmament, eine interspecies Begegnung auf Augenhöhe und leider doch auch eine verschenkte Chance ein Exempel zu statuieren, um in einer so stark von der Natur geprägten Region auf wichtige nichtmenschliche Akteur*innen aufmerksam zu machen und neue Diskurse anzuregen und somit die von Donna Haraway beschriebene „Implosion von Natur und Kultur“ voranzutreiben.[7]


[1] Jacques Derrida: The Animal That Therefore I Am, New York 2008. [2] Stadtgemeinde Bad Ischl (Hg.): Bid Book Bad Ischl-SKGT24 Kulturhauptstadt Europas, 2020 Gmunden, S. 62. [3] Bid Book., S. 64. [4] Bid Book, S. 65. [5] Bid Book, S. 66. [6] Bid Book, S. 87f. [7] Donna Haraway: Das Manifest für Gefährten, Berlin 2016, S. 23.


Nathalie Pollauf studiert Kunstgeschichte und Kulturanthropologie an der Universität Graz. Ihr Forschungsinteresse bezieht sich insbesondere auf die Erforschung verschiedenartiger nichtmenschlicher Akteur*innen in Kunstwerken und deren Teilhabe an der zeitgenössischen Kunst. In ihrer wissenschaftlichen Forschung verbindet sie kunsthistorische und kulturanthropologische Methoden.

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